EU-Digitalgipfel in Tallinn: Viele Baustellen auf der Digitalisierungsautobahn
Auf Initiative Estlands, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, kamen die Staats- und Regierungschefs am 29. September in Tallinn zum „Digitalgipfel“ zusammen. Vorrangige Themen waren Cybersicherheit, Fragen der mittelfristigen Digitalisierung in Behörden und Wirtschaft bis zum Jahr 2025 und die Schaffung eines europäischen digitalen Binnenmarktes, schließlich mache gerade die digitale Wirtschaft keinen Halt an Landesgrenzen, so die Bundesregierung. Auch die sozialen Folgen einer immer stärker digitalisierten Arbeitswelt standen auf der Agenda.
Im Vorfeld des Gipfels hatten Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien einen gemeinsamen Vorschlag zur Digitalisierung in Europa gemacht. Eine dreiteilige Strategie soll dabei konkrete Fortschritte zeitigen: Es müsse ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der für alle Akteure in der europäischen Digitalwirtschaft ein „level playing field“, einen verbindlichen Rahmen schafft. Des Weiteren beinhaltet der Plan eine gezielte Förderung und Implementierung digitaler Infrastrukturen und Technologien sowie eine Stärkung des gesellschaftlichen Vertrauens in eine digitale Welt.
Gerade im Bereich des Schutzes elektronischer Daten sehen die Staaten Handlungsbedarf. Schon heute sei mehr als die Hälfte der europäischen Unternehmen von Cyberattacken betroffen. Neben Spionage und Sabotage im großen Stil betrifft das Problem auch jeden Einzelnen: Pannen beim Datenschutz und Hacker-Angriffe sind nicht geeignet, das Vertrauen in den digitalen Wandel zu stärken.
In einem Abschluss-Statement zum Gipfel betonte Bundeskanzlerin Merkel zudem, wie wichtig aus ihrer Sicht verstärkte europäische Bemühungen im Bereich der künstlichen Intelligenz sind. Sie verwies auf die bescheidenen Investitionen, die in Europa in diesem Bereich getätigt werden und kaum mit der Entwicklung in Nordamerika und Asien mithalten können. Auch die Notwendigkeit des verstärkten Netzausbaus wurde von ihr noch einmal betont.
BDI fordert Ende der nationalen Alleingänge
Zwar demonstrierten die EU-Staaten auf dem Gipfel den Willen zur verstärkten Zusammenarbeit in Digitalisierungsfragen, vor allem Frankreichs Staatspräsident Macron forderte zügige Reformen, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und andere mahnen jedoch Eile. So fordert BDI-Präsident Dieter Kempf: „Gesetzliche Regulierung darf nur noch auf gesamteuropäischer Ebene erfolgen.“ Aus dem regulatorischen Flickenteppich der 28 EU-Staaten müsse zügig ein echter und funktionierender digitaler Binnenmarkt werden. Als Beispiel nannte er ein aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Regelungen in den Mitgliedsländern zerfasertes EU-Datenschutzrecht.
Einer BDI-Studie zufolge kann ein digitaler EU-Binnenmarkt mit seinen 500 Millionen Einwohnern bis 2025 einen Zuwachs von 1,25 Billionen Euro an industrieller Wertschöpfung in Europa schaffen.
Für Deutschland sieht der BDI die kommende Bundesregierung vor allem beim Netzausbau gefragt. Dieser erneute Appell ist auch im Kontext der enttäuschenden Entwicklung in den letzten Jahren zu sehen. Kempf bezeichnete die durchschnittlichen Verbindungsgeschwindigkeiten in Deutschland als „Unding“.
Abhilfe könnte nach den Vorstellungen des Verbandes eine Stelle der Bundesregierung zur Koordinierung der Digitalisierungspolitik direkt im Kanzleramt schaffen. Eine entsprechende Vereinbarung solle in den Koalitionsverhandlungen getroffen werden. Auch müsse eine steuerliche Forschungsförderung initiiert werden. Diese sei bereits in 80 % der Industriestaaten vorhanden.